Grundsätze des Erbrechts

Das Pflichtteilsrecht ist ein bestimmter Bereich des Erbrechts. Das Erbrecht folgt einigen wesentlichen Grundsätzen:

Ein Grundsatz ist die Freiheit des Verstorbenen zu bestimmen, wer sein Vermögen nach seinem Tod bekommen soll. Man spricht hierbei von der Testierfreiheit des Erblassers. Der Erblasser tut das durch sogenannte letztwillige Verfügungen. Das sind in der Regel Testamente, können aber auch andere Formen der letztwilligen Verfügungen wie Erbverträge oder Schenkungen auf den Todesfall sein.

Ein weiterer Grundsatz ist die Bindung des Erblassers gegenüber seiner Familie und bestimmten nahen Personen. Diese Bindung bildet sich unter anderem im Pflichtteilsrecht ab.

Für jenes Vermögen des Erblassers, für das es keine letztwilligen Verfügungen gibt, kommt es zur sogenannten gesetzliche Erbfolge §§ 727 ff ABGB. Dies bedeutet in den meisten Fällen vereinfacht gesagt: Wenn ein Erblasser kein Testament errichtet hat, kommt es zur gesetzliche Erbfolge, bei der die jeweils nächsten Angehörigen Erben.

Die gesetzliche Erbfolge ist auch die Grundlage des Pflichtteilsrechts, da sich die Höhe des Pflichtteils grundsätzlich nach der Hälfte des gesetzlichen Erbteils richtet.

Grundlage des Pflichtteilsrechts – gesetzliche Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge richtet sich nach dem sogenannten Parentelsystem. Das Parentel System ordnet die Verwandten des Erblassers nach ihrer verwandtschaftlichen Nähe. Dabei gibt es insgesamt vier Parentele (=Linien). Die 1. Parentel sind die Nachkommen des Erblassers, die 2. Parentel seine Eltern und seine Geschwister, die weiteren Parentel jeweils weitere Verwandte. Erst wenn aus der ersten Parentel keine Person als Erbe in Frage kommt, kommen die Personen aus der zweiten Parentel zum Zug. Innerhalb der ersten Parentel besteht wiederum eine Rangordnung. Zuerst soll der entsprechende Erbteil den unmittelbaren Kindern zu gleichen Teilen zukommen. Ist aber etwa eines der Kinder bereits verstorben, wird dieser konkrete Teil auf die Nachkommen der Kinder (Enkel) des Erblassers aufgeteilt (sogenannte „Repräsentation“). Damit ist die erste Parentel die wichtigste.

Neben dem gesetzlichen Erbrecht der in der Parentel angeführten Personen, besteht parallel ein gesetzliches Erbrecht des Ehegatten oder des eingetragenen Partners Die Höhe dieses Anteils richtet sich nach der zum Zuge kommenden Parentel. Des direkten Nachkommen beträgt dieser Anteil des Ehegatten ein Drittel.

Abbildung 1, Beispiel gesetzliches Erbrecht

Bsp 1: Otto verstirbt bei einem Autounfall. Sein Tod traf plötzlich und unerwartet ein. Er hat aus diesem Grund kein Testament errichtet, es kommt also die gesetzliche Erbfolge zum Tragen. Sein Vermögen besteht aus einer Liegenschaft mit einem Wert von € 800.000 und einem Bankguthaben in der Höhe von € 100.000. Es beträgt in Summe also € 900.000. Otto hatte keine Schulden. Otto hinterlässt seine Ehefrau Notburga und 3 Kinder: Julian, Wolfi und Anna. Notburga steht nach gesetzlicher Erbfolge ein Drittel des Nachlasses zu, also € 300.000. Die Kinder sind Teil der 1. Linie (=Parentel) und erhalten das gesamte andere Vermögen (=€ 600.000) zu je einem Drittel, also jeweils € 200.000.

Erbfolge mit letztwillige Verfügung (zB Testament)

Errichtet der Erblasser ein Testament und/oder schließt einen Erbvertrag mit dem Erben ab und verfügt darin über sein gesamtes Vermögen, spricht man von gewillkürter Erbfolge §§ 552 ff ABGB idgF. Es kann auch nur ein Teil des Vermögens von einem Testament und/oder Erbvertrag umfasst sein. Die Aufteilung des anderen Teils richtet dann nach gesetzlicher Erbfolge. Einen Pflichtteil kann es nur geben, wenn der Erblasser mit letztwillige Verfügung über sein Vermögen verfügt hat – nie jedoch, wenn nur gesetzliche Erbfolge zur Anwendung kommt.

Pflichtteilsrecht

Wer ist pflichtteilsberechtigt?

Grundsätzlich (abstrakt) pflichtteilsberechtigt sind:

  • Der Ehegatte/Eingetragene Partner, wobei die Ehe oder die eingetragene Partnerschaft aufrecht sein muss
  • Die Kinder, Wahlkinder (Adoptivkinder), Kindeskinder (Enkelkinder und deren Kinder)

Alle übrigen Verwandten und auch der Lebensgefährte haben keinen Anspruch auf einen Pflichtteil.

Die (konkrete) Pflichtteilsberechtigung dieser berechtigten Personen kann jedoch nicht bestehen, wenn

  • auf den Pflichtteil verzichtet wurde,
  • die Erbschaft ausgeschlagen wurde oder
  • der Erblasser zu Recht enterbt hat.

Wie hoch ist der Pflichtteil?

Die Höhe des Pflichtteils ist die Hälfte des Erbteils, den der Pflichtteilsberechtigte bei gesetzlicher Erbfolge erhalten würde.

Bsp: Hildegard verstirbt im Alter von 78 Jahren. Sie hinterlässt ihren Ehegatten Anton, sowie ihr Kind Lorenz und ihre Enkel Sebastian und Franziska. Sebastian und Franziska sind die Kinder der viel zu früh bei einem Autounfall verstorbenen Tochter von Hildegard und Anton – Eva. Hildegard hat in ihrem Testament Anton und Lorenz, nicht aber ihre Enkel Sebastian und Franziska als Erben eingesetzt. Anton und Lorenz sollen je die Hälfte ihres Vermögens bekommen.

Sowohl Lorenz als auch Sebastian und Franziska sind Teil der 1.Parentel. Daneben bestünde ein gesetzliches Erbrecht vom Ehegatten Anton – hier stünde ihm konkret 1/3 der Verlassenschaft zu. Lorenz gesetzlicher Erbteil beträgt ebenso 1/3. Sebastians und Franziskas Teil beträgt zusammen 1/3, jeweils also 1/6. Die Hälfte des hypothetischen gesetzlichen Erbteils bildet die Höhe des Pflichtteils. Der Pflichtteil von Lorenz und Anton beträgt jeweils 1/6, derjenige von Sebastian und Franziska jeweils 1/12.
Hildegard hätte in ihrem Testament Sebastian und Franziska mit jeweils 1/12 ihres Vermögens bedenken müssen. Die beiden können, sofern keine Einigung mit Anton und Lorenz möglich ist, ihren Pflichtteil einklagen.

Abbildung 2, hypothetisches gesetzliches Erbrecht

Abbildung 3, Pflichtteilsrecht

Inhalt des Pflichtteil

Der Pflichtteil ist grundsätzlich in Geld zu leisten, er kann aber auch durch sogenannte Zuwendungen von Todes wegen (das ist etwa ein Vermächtnis), oder auch durch Zuwendungen unter Lebenden (z.B. Schenkung) gedeckt werden § 761 ABGB idgF. Bis zu der sogenannten Einantwortung – das ist die Übergabe der Verlassenschaft des Verstorbenen an die Erben – schuldet die Verlassenschaft den Pflichtteil, danach die Erben und Vermächtnisnehmer. Die Vermächtnisnehmer müssen aber nur anteilig, im Verhältnis ihres Vermächtnisses zum Wert des Nachlasses insgesamt, zur Deckung des Pflichtteils beitragen.

Bsp: Fritz hat in seinem Testament verfügt, dass seine Liegenschaft an seinen einzigen Sohn Bertram (Vermächtnis) und sein gesamtes restliches Vermögen an eine Spendenorganisation gehen soll. Die Liegenschaft machte den Großteil von Fritz Vermögen aus. Durch das Vermächtnis ist Bertrams Pflichtteil abgegolten.

Der Pflichtteilsberechtigte hat keine Wahl, ob er seinen Pflichtteil lieber in Geld oder über eine Zuwendung abgegolten haben möchte. Diese Entscheidung trifft alleine der Erblasser. Sollte aber der Wert der Zuwendung zur Deckung des Pflichtteils nicht ausreichen, so kann der Pflichtteilsberechtigte mittels eines Pflichtteilergänzungsanspruchs den Rest in Geld fordern.

Berücksichtigung von Schenkungen

der Pflichtteil eines Pflichtteilsberechtigten kann auch dadurch verkürzt sein, dass der Erblasser zu Lebzeiten große Teile seines Vermögens verschenkt hat. Unter bestimmten Voraussetzungen können diese Schenkungen für die Größe des Pflichtteiles eine Rolle spielen. Ist ein so großer Bestandteil des Vermögens des Erblassers verschenkt worden, dass die Pflichtteile aus dem verbliebenen Vermögen im Nachlass gar nicht zu decken sind, ist sogar eine teilweise Herausgabe-oder Zahlungspflicht des Empfängers des Geschenkes möglich.

Minderung des Pflichtteils

Unter besonderen Umständen darf der Pflichtteil eines Pflichtteilsberechtigten gemindert werden. Dies ist dann erlaubt, wenn der Erblasser und der Pflichtteilsberechtigte über einen langen Zeitraum keinen Kontakt bzw kein Naheverhältnis miteinander haben, und dies nicht die Verantwortung des Erblassers ist.

Dieser Fall tritt immer wieder bei Erblassern auf, die Kinder aus mehreren Beziehungen haben und wo das Naheverhältnis zu Kindern aus früheren Beziehungen nicht (mehr) besteht (Stichwort „Patchworkfamilie“).

Besteht über einen langen Zeitraum kein Naheverhältnis zwischen Erblasser und pflichtteilsberechtigten (zB zwischen Vater und Kind aus erster Ehe), dann lässt das Gesetz eine Minderung des Pflichtteiles zu. Der Erblasser darf dann in seinem Testament den Pflichtteil auf die Hälfte vermindern, wenn er und der Pflichtteilsberechtigte in keinem Naheverhältnis standen, wie es zwischen Familienangehörigen oder Ehegatten/eingetragenen Partnern gewöhnlich besteht. Sollte aber das Verhalten des Verstorbenen ein berechtigter Grund für das fehlende Naheverhältnis sein, so steht ihm diese Möglichkeit nicht offen § 776 ABGB.

Bsp: Otto hinterlässt seine zweite Ehefrau Monika, seine Tochter aus dieser Ehe Tina sowie seinen Sohn aus erster Ehe Konstantin. Otto hatte Konstantin seit über 20 Jahren nicht gesehen. Sowohl Konstantin als auch seine Mutter Irmgard hatten jeglichen Kontakt zu Otto grundlos abgebrochen. Otto, der seinen Sohn sehr gerne öfters gesehen hätte, war sehr über das Verhalten seines Sohnes enttäuscht. Er verfügte in seinem Testament, dass Konstantin 1/12 seines Vermögens, der Rest aber Monika und Tina zu gleichen Teilen zukommen soll.

Konstantins gesetzlicher Erbteil beträgt 1/3. Sein Pflichtteil beträgt dementsprechend grundsätzlich 1/6, darf aber im konkreten Fall aufgrund des fehlenden Naheverhältnisses um die Hälfte reduziert werden. Konstantin steht ein Pflichtteil von 1/12 zu. (Monikas und Tinas Pflichtteil beträgt je 1/6 und wird entsprochen.)

Entzug des Pflichtteils

In besonderen Fällen, kann dem pflichtteilsberechtigten sein Pflichtteil auch zur Gänze entzogen werden.

Dies kann durch eine sogenannte „Enterbung“ durch den Verstorbenen geschehen. Der Verstorbene kann dies, wie bei der Minderung auf die Hälfte, nicht einfach willkürlich letztwillig verfügen. Vielmehr muss der Pflichtteilsberechtigte einen im Gesetz angeführten Enterbungsgrund gesetzt haben und dieser Enterbungsgrund muss auch ursächlich für die Enterbung sein.

Die in § 770 f ABGB gesetzlich angeführten Gründe für eine Enterbung sind:

  • Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit einer mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (Z 1);
  • Begehung einer solchen gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Ehegatten, eingetragenen Partner oder gegen Verwandte in gerader Linie des Verstorbenen (Z 2);
  • Absichtliche Vereitlung der Verwirklichung des wahren Willens des Verstorbenen oder der Versuch davon (Z 3);
  • Zufügung schweren seelischen Leids in verwerflicher Weise (Z 4);
  • Gröbliche Vernachlässigung der familienrechtlichen Pflichten – aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern oder aus dem Rechtsverhältnis zwischen Ehegatten/eingetragenen Partnern gegenüber dem Verstorbenen (Z 5).
  • Verurteilung wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlung(en) zu einer lebenslangen oder zwanzigjährigen Freiheitsstrafe – gegen wen sich die Tat richtete ist unerheblich. (Z 6)
  • Enterbung des Pflichtteilsberechtigten „in guter Absicht“: wenn bei einem verschwenderischen oder verschuldeten Pflichtteilsberechtigten die Gefahr besteht, dass der ihm zugewendete Pflichtteil dessen Nachfahren entgehen wird, kann der Pflichtteil den Nachfahren direkt zugewendet werden. (§ 771 ABGB)

Bsp: Ernst wird von seinem aufbrausenden Sohn Michael mit vorgehaltener Pistole ausgeraubt. Der Tatbestand des schweren Raubes (§ 143 StGB) ist erfüllt. Ernst kann nun gemäß § 770 Z 1 ABGB seinen Sohn Michael als Pflichtteilsberechtigten enterben und ihm somit seinen Pflichtteil zur Gänze entziehen.

Selbiges gilt, wenn Michael nicht seinen Vater Ernst, sondern beispielsweise seinem Bruder Alfred mit vorgehaltener Pistole ausgeraubt hat (§ 770 Z 2 ABGB).

Bsp: Ernst verfügt in seinem Testament, dass seine Ehefrau Margarete nur den Pflichtteil, seine Tochter Julia aber den gesamten Rest erhalten soll. Als Ernst mit einem Schlaganfall ins Spital gebracht wird, sieht die eifersüchtige Margarete ihre Chance gekommen. Sie nimmt das Testament von Ernst aus seinem Schreibtisch und fälscht es dahingehend, dass Julia nur den Pflichtteil, sie aber den gesamten Rest erhalten soll. Margarete versucht absichtlich die Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen zu vereiteln.

Der Erblasser kann eine Enterbung später widerrufen. Dieser Widerruf muss so wie die Enterbung durch eine letztwillige Verfügung erfolgen § 773 Abs 1 ABGB idgF. Ist der Erblasser aber nicht mehr testierfähig, kann also nicht mehr letztwillig Verfügen, kann die Enterbung auch durch „Verzeihung“ unwirksam werden. Dazu muss der Erblasser zu erkennen geben, dass er dem Enterbten verziehen hat und seine frühere Entscheidung, die Person zu enterben, überholt ist § 773 Abs 2 ABGB idgF.

Erbunwürdigkeit

Nur wer überhaupt erbfähig ist, kann einen Pflichtteilsanspruch erwerben. Die Erbfähigkeit richtet sich hierbei nach der allgemeinen Rechtsfähigkeit und etwaigen Erbunwürdigkeitsgründen. Erbunwürdig ist wer zum Beispiel derjenige, der gegen den Erblasser eine gerichtliche Straftat begeht, die nur vorsätzlich begangen werden kann und die mit einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe bedroht ist oder etwa das Testament „verschwinden lässt“ oder fälscht. Nur durch eine sogenannte „Verzeihung“ durch den Erblasser kann ein solcher Erbunwürdigkeitsgrund beseitigt werden. Selbstverständlich muss dazu aber der Erblasser über das Vorliegen des Grundes Bescheid wissen.

Die Enterbungsgründe überschneiden sich mit den Erbunwürdigkeit Gründen, erweitern und modifizieren diese aber geringfügig. Die Erbunwürdigkeit ist von Gesetz wegen zu berücksichtigen und hierzu muss nichts im Testament verfügt werden.

Pflichtteilsverzicht

Ein potenzieller Pflichtteilsberechtigter kann auch mit dem Erblasser vertraglich vereinbaren, auf seinen Pflichtteil zu verzichten. Dies kommt in der Praxis häufig vor, insbesondere wenn schon vor dem Tod großzügige Schenkungen vom Erblasser gemacht werden, oder Vermögen in eine Privatstiftung eingebracht wird. Solche Pflichtteilsverzichte können unter besonderen Umständen angefochten werden.